Vom Raumzeitkontinuum und unserer beschränkten Vorstellungskraft

Vortrag des Fördervereins GIZ über Einsteins Relativitätstheorie - Über 250 Besucher

Von Alexander Neidhardt

Wenn wir täglich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu unserem Arbeitsplatz an einem schwarzen Loch fahren würden, dann wäre das Verständnis der Relativitätstheorie für uns kein Problem. Unsere Vorstellungswelt ist jedoch von kleinen Geschwindigkeiten geprägt, so dass uns die doch relativ komplexe Einsteinsche Sichtweise der Welt äuβerst fremd erscheint. Diese hielt 1905 - dem Wunderjahr von Einstein, in dem er fünf revolutionäre Arbeiten veröffentlichte – Einzug in die Wissenschaft. Nach der experimentellen Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie von Arthur Stanley Eddington im Jahre 1919, der eine scheinbare Verschiebung der Sternpositionen nahe der Sonne während einer Sonnenfinsternis feststellte, welche durch die gravitative Ablenkung des Lichts entsteht, entwickelte sich die Relativitätstheorie auch zum Publikumsmagneten. Obwohl sie nur wenige wirklich verstehen und sie sich niemand vorstellen kann, ist sie auch heute wohl noch eines der begeisternden Themen unserer Zeit.

Die Organisatoren Klaus Schedlbauer (Aktionskreis Cham), Dr. Wolfgang Schlüter (GIZ), Prof. Hanns Ruder und Dr. Thomas Klügel (GIZ)

Dies zeigte sich auch am vergangenen Donnerstag, als über 250 Besucher den Ausführungen von Prof. Hanns Ruder von der Universität Tübingen im Haus des Gastes lauschten. In seinem Vortrag „Was auch Einstein gerne gesehen hätte – Visualisierung relativistischer Effekte“ versuchte er mittels aufwendiger Computeranimationen die Vorstellungskraft hinsichtlich dieser Effekte zu erweitern. Dieser Beitrag zum Einsteinjahr 2005 wurde gemeinsam vom Förderverein Geodätisches Informationszentrum Wettzell e.V., dem Aktionskreis Cham, dem Arbeitskreis Schule-Wirtschaft Cham und der Stadt Kötzting veranstaltet.

Professor Ruder habilitierte als studierter Physiker im Jahr 1972 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. An die dort folgende Tätigkeit als wissenschaftlicher Rat schloss sich eine Professur für theoretische Physik an. Der gebürtige Franke ist seit 1983 Professor für theoretische Astrophysik an der Universität Tübingen und hat sich seit 1994 im Sonderforschungsbereich 382 speziell den „Verfahren und Algorithmen zur Simulation physikalischer Prozesse auf Höchstleistungsrechnern“ verschrieben. Im Laufe des Vortrags konnte er so einige dieser Simulationen präsentieren, welche zumeist jenseits unserer von drei Dimensionen geprägten Vorstellungswelt liegen.

Prof. Hanns Ruder vor seinen Hochleistungsrechnern
Der vollgefüllte Zuschauerraum im Haus des Gastes

Dabei sind die grundsätzlichen Elemente der Speziellen Relativitätstheorie jedoch den meisten bekannt. Bewegte Uhren gehen langsamer. Bewegte Maβstäbe werden gestaucht. Und Licht bewegt sich mit endlicher Geschwindigkeit. Doch was würde ein Beobachter sehen, der sich tatsächlich mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit oder darüber bewegen würde oder ein Beobachter, der ein bewegtes Objekt mit dieser Geschwindigkeit an sich vorbeifliegen sähe. Diese Frage stellte sich bereits populärwissenschaftlich George Gamov in seinem Buch „Mr. Tompkins’ seltsame Reise durch Kosmos und Mikrokosmos“ und unterlag dabei unseren aus dem Alltag gewohnten Vorstellungen. Sein sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegender Radfahrer wurde nach Gamovs Vorstellungen von seiner Umwelt nur gestaucht wahrgenommen. Dieses Bild nahm Professor Ruder zum Anlass eine Animation eines mit Lichtgeschwindigkeit bewegten Rades zu erstellen, welche bei den Zuschauern einige Verwirrungen auslöste. Die Speichen waren nicht mehr äquidistant und es entstand der Eindruck eines sich verdrehenden Körpers.

Diese Erscheinung klärte Prof. Ruder einfach mit der Darstellung der Lorentzkontraktion in Verbindung mit der endlichen Lichtgeschwindigkeit. Dieses Zusammenspiel sorgt dafür, dass gleichzeitig eintreffendes Licht eines schnell bewegten, räumlichen Körpers auch von der dem Beobachter abgewandten Seite stammt, er also Licht von der Rückseite wahrnimmt, was zu einer empfundenen Rotation führt. Bei einem Speichenrad, welches selbst auch noch rotiert, führt dies zu den verblüffenden Bewegungen.

Die Innenstadt von Tübingen bei 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit
Der Eiffelturm bei über 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit

Weitere Animationen verdeutlichten, welche optischen Effekte dieses Prinzip in unserer weiteren, gewohnten Umgebung hervorrufen würde. Eine Fahrt durch die virtuelle Abbildung der Stadt Tübingen, welche als 3D-Modell vom Max-Planck-Institut erstellt wurde, lies die Verzerrungen deutlich werden. Giebel biegen sich, das Kopfsteinpflaster wirkt gekrümmt und es sieht aus, als würden die Gebäude zurück weichen, obwohl man sich auf sie zu bewegt. ähnliche Bilder vom Eiffelturm waren beeindruckende Zeugen dieser errechneten Vorstellungswelten.

Auch das Zwillingsparadoxon griff Prof. Ruder kurz auf. Würde man eine Photonenrakete mit Materie-Antimaterieantrieb 10 Jahre mit der einfachen Erdbeschleunigung beschleunigen, dann den gleichen Zeitraum lang abbremsen und mit dem selben Prinzip zur Erde zurückkehren, so wäre man selbst nur 40 Jahre unterwegs. Man hätte eine Entfernung von 22000 Lichtjahren, also etwa das Zentrum unserer Galaxie, erreicht. Auf der Erde wären mittlerweile 44000 Jahre vergangen. Allerdings hätte uns diese Reise aufgrund der Massenzunahme bei hohen Geschwindigkeiten Treibstoff der Masse unserer ganzen Erde gekostet. Humorvoll bemerkte Ruder hierzu, welche sozialen Probleme dies wohl bringen würde, wenn man selbst „44000 Jahre in die Rentenversicherung zahlt, nach 40 Jahren zurückkehrt und dann noch 5 Jahre auf die Pensionierung warten muss“.

Ein Wissenschaftler zum Anfassen:
Zuschauer im Gespräch mit Prof. Ruder

Zum Abschluss leitete Prof. Ruder zur Allgemein Relativitätstheorie über, welche mit ihrer doch komplexen Mathematik noch weniger intuitiv begriffen werden kann. Sie beschäftigt sich mit der Krümmung von Raum und Zeit in der Nähe von Massen. Ein beliebtes Beispiel hierfür sind die schwarzen Löcher. Würde man ein solches vor einem Beobachter an unserer Erde vorbeibewegen, käme es zu den bekannten Krümmungseffekten, welche auch Einsteinringe genannt werden. Sie führen dazu, dass sich ein ringförmiges Abbild um das schwarze Loch ergibt. Mit zahlreichen, weiteren Animation schloss der Vortrag, nicht ohne auch die Theorie der Wurmlöcher beleuchtet zu haben. überwältigt von den Eindrücken und mit tosendem Minutenapplaus endete der Vortrag.

Der nächste Vortrag findet am 17. November statt. Dann wird Prof. Dietmar Grünreich über das Thema „Von Landkarten zur Geodateninfrastruktur – alter Wein in neuen Flaschen?“ diesmal wieder im Sitzungssaal der Fundamentalstation Wettzell referieren.


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